Kurz, und unter den Augen der Zensur geschrieben – Ansichtskarten aus dem Ersten Weltkrieg sind Schlachtfeld-Grüße mit „Subtext“
Ein Beitrag von Dr. Klaus Pirke
„Lieber Freund. Wie Du vielleicht schon erfahren hast bin ich hier nach Breslau gekommen. Es geht immer näher an den Feind heran. Ich wünschte, ich wäre wieder bei Euch in Essen. (…) Viele Grüße an alle die noch da sind mir geht es noch ganz gut.“
Diese kurze Nachricht sendet ein deutscher Soldat, von dem wir nur den Vornamen Hermann kennen, am 12. November 1914 an seinen Essener Freund Fritz Frammgenau. Das Foto auf dieser Feldpostkarte aus Schlesien verrät uns nicht viel. Das klassische Ansichtskartenmotiv zeigt einen Platz mit königlichem Reiterdenkmal im damals deutschen Breslau (Schlesien). Eine Karte, wie sie auch vor dem Kriegsausbruch von friedlicheren Reisen verschickt wurde. Doch der Text passt nicht zu einem solchen Gruß aus Friedenszeiten. Spätestens beim zweiten Lesen fällt auf, dass Hermann auf dieser Reise Angst haben muss. Offensichtlich weiß er nicht, wie lange es ihm „noch ganz gut“ gehen wird. So ein „noch“ finden wir häufig in diesen Front-Botschaften in die Heimat. Das ist kaum verwunderlich: Nachdem der Kriegsausbruch Anfang August 1914 zunächst für viel überhitzte nationale Begeisterung gesorgt hatte, ist die Euphorie an den Fronten schon wenige Wochen später weitgehend verschwunden. Der im August beschworene rasche Sieg bleibt aus, das Ganze wird offensichtlich alles andere als ein „Spaziergang nach Paris“, wie die Propaganda anfangs glauben macht. In Frankreich wird der Krieg schon im Oktober zum festgefahrenen Stellungskrieg mit furchtbaren Opferzahlen in und zwischen den Schützengräben. Und auch im Osten verlieren bald weit mehr Soldaten ihr Leben, als es selbst die pessimistischsten Prognosen im August ahnen ließen. Im Winter 1914/15 finden in den Karpaten die verlustreichsten Kämpfe des Krieges statt.
So erstaunt es nicht, dass nur wenige Feldposttexte säbelrasselnde Propagandasprüche oder markige Durchhalteparolen enthalten, auch wenn die Kartenabbildungen der Vorderseiten sie häufig vermitteln. Nur in Ausnahmefällen ist aber auch der Ton der persönlichen Mitteilung so heroisch oder gar draufgängerisch wie in dieser Karte des Füsilliers (Fußsoldaten) Kunibert Welke. Am 7. Dezember 1917 sendet er seiner vermutlichen Ehefrau oder Verlobten das Bild einer detonierenden Mine in die Heimat und schreibt ihr dazu:
„Liebe Alma! Vielen Dank für heute erhaltene Karte. Geht sonst gut, hoffentlich auch Dir (…) Sende Dir umseitiges Bild, in Wirklichkeit ein anderer Anblick. Wo so ein Ding hinfällt, wächst so früh kein Gras. Nun mein Liebling habe wohl bis auf Wiederkehr grüßt (…) Dich Dein Kunibert“

Was sich hinter dieser schneidigen Botschaft aus Bild und Text möglicherweise für ein Subtext unter Liebenden versteckt, kann nur spekuliert werden. Zur Beruhigung der wahrscheinlich besorgten Partnerin daheim wird diese Karte jedenfalls eher wenig beigetragen haben. Dennoch war genau das vermutlich das Ziel ihres Autors – wohl der Versuch, deutlich zu machen, wie wenig ihn die Gefahren beeindrucken können, da man die Lage ja im Griff habe. Möglich wäre allerdings auch eine ganz andere Lesart: „In Wirklichkeit ein anderer Anblick…“ könnte zwischen den Zeilen dann doch von ziemlicher Sorge um das eigene Überleben berichten, obwohl sich der Text zunächst ganz anders liest.

Mit einer anderen Art von Galgenhumor berichtet Heinrich Schneider im März 1916 seiner Schwester „Finchen“ – vermutlich Josephine – von der Front in Nordfrankreich. Die Karte mit der koketten Uniformträgerin geht ins rheinländische Opladen, heute ein Stadtteil von Leverkusen:
„Liebes Finchen! Deinen Brief dankend erhalten. Die Franzosen sorgen für Aufmunterung, über Langeweile kann man nicht klagen. Das Wetter ist jetzt sehr schön. Es grüßt von Herzen D. Bruder Heinrich“
Das Wetter, nicht ganz unwichtig für Soldaten im Feld, ist oft und präzise beschrieben. Doch die eigentlichen Kriegshandlungen und das Grauen der massenhaften, quasi industriellen Vernichtung von Menschen und Material benennen die Kartenschreiber kaum einmal konkreter. Zu den Gründen gleich mehr. Fast immer bleibt es bei Andeutungen so wie auf dieser Karte, deren gestelltes Foto eine recht friedliche Situation um die Kasse einer Armee-Einheit zeigt. Doch der Gefreite August Behler hat schwerste Kämpfe erlebt, über die er seinem Onkel Ewald Vopel und dessen Frau nach Dortmund berichtet:
„24. April 1915. Lieber Onkel u. Tante! Habe jetzt mit Gottes Hilfe einige schwere Tage glücklich überstanden. (Nahe der Combres Höhe) Hoffentlich ist auch bei euch noch alles gesund. Seid alle herzl. gegrüßt und Gott befohlen Euer August“

Hinter der vorsichtigen Formulierung „schwere Tage“ verbergen sich äußerst blutige Kämpfe in Lothringen. Die genannte Höhe von Combres ist eine strategisch wichtige Position und von den Deutschen besetzt. Hier wütet im April 1915 der sogenannte Minenkrieg, in dem feindliche Stellungen bergmännisch untergraben (unterminiert) und dann mit großen Mengen Sprengstoff in die Luft gejagt werden. Was August Behler dort in den Vortagen erlebt haben muss, wird also in der Formulierung „schwere Tage“ nicht ansatzweise nachvollziehbar.
Woher kommt das? Zur Beantwortung dieser Frage zunächst ein paar Zahlen. Fast 29 Milliarden portofreie Feldpostkarten, -briefe und -päckchen verschicken oder erhalten deutsche Soldaten während des Ersten Weltkriegs. Dessen Kriegshandlungen dauern vier Jahre und drei Monate, das sind gut 1.560 Tage. Durchschnittlich werden an jedem dieser Tage also über 18 Millionen Sendungen in die Feldpost gegeben. Um das zu bewältigen, braucht es bald ein eigenes „Heer“ aus tausenden Feldpostbeschäftigten. Und trotz dieser ungeheuren Masse an Sendungen werden die Botschaften – zumindest theoretisch – vom Militär mitgelesen.
Im Krieg gibt es ein Postgeheimnis nur für Offiziere, nicht für die einfachen Soldaten. Daher sind deren Nachrichten nur sehr selten eindeutig, fast jede Bemerkung fällt wohlüberlegt aus. Bis 1916 geht zeitweise alle ausgehende Post durch die Hände des direkten Vorgesetzten, er kann und soll jederzeit „mitlesen“. Auch wenn allein schon die genannte Zahl der Sendungen es sehr unwahrscheinlich macht, dass diese Zensur lückenlos funktionierte – in den Köpfen der Soldaten ist sie präsent und beeinflusst ihr Schreiben. Im Kriegsverlauf professionalisiert man die Zensur dann ab 1916, offizielle „Prüfstellen“ werden eingerichtet. Die militärische Führung will dadurch möglichst genaue Stimmungsbilder von den Fronten erhalten: Dort schwindet die „Moral“ der Truppen, da die Zweifel an der propagierten deutschen Überlegenheit stetig zunehmen. Gelegentlich wird die Zensur aber auch umgangen. Entweder werden ungeschönte Nachrichten von Heimaturlaubern mitgenommen, oder die Mitteilungen enthalten vereinbarte Kodes, die nur von den Empfängern verstanden werden. Und in seltenen Fällen scheren sich die Soldaten besonders in den letzten Kriegsmonaten kaum mehr um die Zensur, auch wenn Strafen drohen. Vergleichsweise deutlich äußert sich ein Vater, von dem wir allerdings nicht wissen, welchen Dienstgrad er hatte und ob seine Botschaft mitgelesen wurde. Die Nachricht ins Rheinland erhält seine Tochter Else Gerhard in Bergneustadt. Seine Karte vom April 1917 zeigt auf ihrer Vorderseite russische Kriegsgefangene:

„Im Felde 12.4.17. Liebe Else! Deinen l. Brief vom 9.4. habe ich erhalten. Umstehendes Bild könntest du auch hier in Natura sehen, wenn du hier wärst. So schleudert der Krieg die Menschen in der Welt herum. Jetzt weiß man auch mal was Krieg ist. Herzlichen Gruß Dein Vater.“
Doch ein größerer Teil der Feldpostkarten des Ersten Weltkriegs erwähnt die Kriegserlebnisse gar nicht erst. Viele enthalten vor allem den Dank für erhaltene Sendungen und berichten von Karten und Briefen gemeinsamer Bekannter. Andere sind Geburtstags-, Namens- oder Feiertagsgrüße. Und manche der Botschaften sind für uns heutige Leser*innen nur schwer zu entschlüsseln. Mitunter wirken sie auf den ersten Blick seltsam banal, und gelegentlich wirkt der Autor irritierend sprachlos, was nicht nur an der Zensur zu liegen scheint. So schickt Soldat Georg, dessen Nachname unbekannt ist, am 6. Januar 1915 „Kriegsgerät“ aus dem nordfranzösischen Dorf Provais in die Heimat.

Das Kartenfoto zeigt Blindgänger der feindlichen Artillerie, ein häufiges Motiv. Die Karte steckte ursprünglich in einem Umschlag, weshalb wir weder den Wohnort noch den Namen seiner Eltern kennen, die seine Karte erhalten. Georgs Botschaft ist nicht heroisch und wohl auch nicht tiefgründig, eher scheinen dem Autor schlicht die Worte zu fehlen:
„Liebe Eltern u Willy! Hiermit sende ich Euch die Ansicht von verschiedenen französischen Blindgängern. Ich habe mir heute Abend Kartoffeln gekocht und jetzt eben gegessen. Mit herzl. Gruß Euer Georg.“
Auf vielen der Feldpostkarten finden wir dann allerdings doch noch Botschaften, deren Kern bis heute „ankommt“. Jemand möchte eigentlich lieber daheim sein, weil er dort, wo er ist, nicht aus freien Stücken ist – und weil er jemanden vermisst. So geht es offensichtlich dem Gefreiten Heinrich Breuker im kurländischen Prekuln (heute Lettland), der am 11. März 1916 an Mimy Mühlmeyer in Gelsenkirchen schreibt:
„(…) Die Zeit (…) will gar nicht voran gehen, immer sind meine Gedanken schon in der Heimat. Aber die 10 Tage werden wohl noch vergehen. Mit vielen herzl. Gr. u. K. Dein Heinrich.“
Und was für Nachrichten kommen zurück? Post aus der Heimat ist für das Militär deutlich schwieriger unter Kontrolle zu halten als es die Botschaften der Frontsoldaten sind. In den letzten Jahren des Ersten Weltkriegs bemüht sich das Kriegspresseamt in großen Zeitungskampagnen, auch auf diesem Wege die Kampfbereitschaft der Truppen hoch zu halten. Verzweifelte Post, in der Ehefrauen, Verlobte und Bekannte ihre miserable Situation zuhause schildern, soll unbedingt verhindert werden. „Keine Jammerbriefe mehr! Sie sind der deutschen Frauen unwürdig“, liest man in vielen Zeitungen.[1] Doch der Erfolg dieser Propagandaaktionen ist eher gering, zu hoffnungslos ist die Lage in den dauerhaft unterversorgten Städten Deutschlands. Der Hunger und die stetig wachsende Zahl der Todesmeldungen von den Kriegsschauplätzen zeigen Wirkung. Aus Duisburg schreibt im September 1916 Hanne, deren Nachnamen wir nicht kennen, da auch diese Karte im nicht erhaltenen Umschlag versendet wurde, an ihren Bruder vermutlich an einer der Fronten:
„Lieber Heini, Deine liebe Karte vom 8. erhielten wir am 12., vielen Dank. Deine Wünsche sind erfüllt, und unserer Toten ist gedacht. (…) Alfred Grube teilt wohl dasselbe Schicksal, denn die Umstände und Mitteilungen sind so dieselben wie damals bei unserem Albert. Friedel ist nach mehrwöchigem schweren Leiden gestorben. Grausam ist der Krieg!“
Eine kleine Auswahl von Feldpostkarten, die 1914 bis 1918 in die Region an Rhein und Ruhr gingen, wird in der neuen Dauerausstellung des LVR-Industriemuseums zu sehen sein. Ihre Botschaften taugen dabei kaum als objektive Kriegsberichte. Als kleine Momentaufnahmen dokumentieren sie stattdessen sehr unterschiedliche und persönliche Stimmungslagen aus einem industrialisierten Krieg, dessen Grauen bald nicht nur an den Fronten, sondern in Form des Hungers und der Zerstörung vieler Familien auch in der Heimat erlebt wurde.
Quellen:
Ebert, Jens, Feldpost, in: Matthews-Schlinzig, Marie Isabel / Schuster, Jörg / Steinbrink, Gesa / Strobel, Jochen (Hg.), Handbuch Brief, Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Bd. 2, Historische Perspektiven – Netzwerke – Zeitgenossenschaften, Berlin/Boston 2020. S. 1347-62.
Ziemann, Benjamin, Feldpostbriefe und ihre Zensur in den zwei Weltkriegen, in: Beyrer, Klaus / Täubrich, Hans-Christian (Hrsg.): Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation, Heidelberg 1996. S. 163-171.
Ulrich, Bernd, Feldpostbriefe des Ersten Weltkrieges — Möglichkeiten und Grenzen einer alltagsgeschichtlichen Quelle, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 53 (1994). S. 73-83.
[1] http://www.digada.de/wk1/kap2/feldpostbriefe.htm [18.2.2022]