Holzfigürchen und Kärtchen mit Zeichnung von Menschen

„Museumsarbeit ist vielseitig“: Ein Personas-Workshop für die neue Dauerausstellung

Wir haben uns gefragt: Wer sind eigentlich unsere zukünftigen Besucher*innen? Und wie werden sie unsere neue Dauerausstellung wahrnehmen?

Um der Antwort ein Stückchen näher zu kommen, haben wir gemeinsam mit dem Gestaltungsbüro Duncan McCauley aus Berlin, das die Gestaltung der neuen Dauerausstellung der Zinkfabrik Altenberg übernommen hat, zum Personas-Workshop in die Elekrozentrale eingeladen. In bunter Runde konnte das Kurator*innen-Team dann am 26. August mit Kolleg*innen u.a. aus der Ausstellungstechnik und –planung, der Museumspädagogik, der Öffentlichkeitsarbeit und Verwaltung die ersten imaginären Besucher*innen auf ihren Wegen durch die geplante Ausstellung begleiten.

Was sind Personas und wie haben wir sie verwendet?

Die Personas-Methode kommt aus der Softwareentwicklung und wird mittlerweile in vielen Bereichen wie z.B. im Marketing, in Designprozessen und der Bildungsforschung als Hilfsmittel zur Zielgruppen- und Bedarfsanalyse sowie zur Produktentwicklung genutzt. Personas sind fiktive Personen. Sie sind nicht auf ein stereotypes Charakteristikum, wie „der Migrant“ oder „die Schülerin“ reduziert, sondern mit konkreten Eigenschaften und Lebensgeschichten ausgestattet und stehen für potentielle spätere Nutzer*innen.

Personas im Museum: Wie haben wir das gemacht? Dem Programm war nur ein kryptisches „Aktivität 1“ zu entnehmen und so waren wir gespannt, was passieren würde. Nach einer kurzen Einführung, die alle mit dem aktuellen Planungsstand und den Kernaussagen des Ausstellungskonzepts vertraut machte, ging es los! Wir fanden uns in Paaren aus jeweils eine/r/m Kurator*in und eine/r/m Kolleg*in ohne Vorwissen zur Ausstellung zusammen. Jeder Gruppe wurde eine Zeichnung von einem oder mehreren Menschen zugelost. Nun ging es ans Eingemachte: Wen hatten wir denn da vor uns? In den nächsten Minuten legten wir die Persönlichkeiten unserer Personas fest. Zusätzlich brauchte „das Kind“ bzw. die Persona einen Namen! Nicht nur das, wir überlegten auch, wo sie herkommt bzw. herkommen, wie alt sie ist/sind, was sie ins Museum führt und was sie von ihrem Besuch dort erwartet/n.

Fragebogen und Zeichnung einer Persona
Fragebogen und Zeichnung einer Persona / Foto: LVR-Industriemuseum

Wir lernen den 14-jährigen „Timo“ kennen, Sohn russischer Einwanderer, aber selbst bereits in Deutschland geboren, der das Museum im Rahmen eines Schulausflugs besucht und sich besonders auf den Programmpunkt danach freut – Chillen im Einkaufsparadies Centro. Seine Mitschülerin „Ayse“ möchte wissen wie eine Fabrik funktioniert. Ihre Lehrerin „Janine Schütte“, will ihre 7. Klasse aus Gummersbach möglichst ohne größere Katastrophen heil wieder nach Hause bringen und sieht sich plötzlich der Aufgabe gegenüber, die Jugendlichen unvorbereitet selbst durch die Ausstellung führen zu müssen, da die gebuchte Führung ausfällt.

Ein Besuch bei ihrer Oma „Linda“ führt die Studentinnen „Abbie“ und „Nina“ mit den Eltern „John“ und „Melissa“ zum ersten Mal in die Zinkfabrik. Die 76-jährige Oberhausenerin ist stolz auf ihre Stadt und möchte ihrer Familie etwas zeigen. Sie erwarten eine anspruchsvolle Ausstellung, möchten sich aber auch amüsieren und vor allem endlich mal wieder etwas gemeinsam unternehmen.

„Mesut“ ist Koch und hat früher mehrere Restaurants in Damaskus geleitet. Gemeinsam mit seiner Frau und den kleinen Kindern musste er aus Syrien fliehen und lebt nun in Düsseldorf. Heute arbeitet „Mesut“ als Aufsicht in einem Museum. An freien Tagen unternimmt die Familie gern Ausflüge und besucht besonders gern Kultureinrichtungen. Sie möchten die Region kennenlernen und einen schönen Nachmittag verbringen.

„Gisela“ ist Ende 70 und sitzt im Rollstuhl. Sie hat großes Interesse an den Ausstellungsthemen, da sie früher selbst bei einem Industrieunternehmen in Oberhausen beschäftigt war. „Gisela“ möchte überprüfen, ob „die im Museum“ das auch alles richtig erzählen und ist dafür in Begleitung ihres FSJlers „Jens Sparbier“ hergekommen. Für„Jens“ ist der Besuch Teil seines Jobs und er sieht seine Aufgabe vor allem darin „Gisela“durch die Ausstellung zu schieben und ihr einen schönen Besuch zu ermöglichen. Hin und wieder riskiert er aber auch einen Blick auf Exponate, die ihn interessieren.

Mit bunten Stiften und Spielfiguren ausgerüstet, schickten wir die verschiedenen Personas nun durch Grundrisse unserer Ausstellung. Um der Vorstellungskraft ein wenig auf die Sprünge zu helfen, hatte jede Gruppe eine Präsentation mit Bildern und 3D-Entwürfen der Ausstellungsbereiche zur Verfügung. Wir sollten darauf achten, welchen Weg unsere Personas wählen und diesen Weg in die Grundrisse einzeichnen. Wo bleiben sie stehen? Was zieht sie an? Wie sind ihre Reaktionen? Und wie lange verweilen sie?

Lehrerin „Janine Schütte“ ist überfordert, sie hatte sich darauf gefreut, während einer Führung etwas entspannen zu können, und muss nun spontan ihre Klasse durch die große Halle führen. Sie schauen sich einige Exponate im ersten Teil der Ausstellung an, haben aber keine Zeit sich in ein Thema zu vertiefen. Lehrerin „Janine“ wird von der Vorführung der Walze angezogen. An dem großen Exponat bewegt sich etwas und ein Fachmann erklärt die Maschine. Die Klasse ist begeistert und zum ersten Mal konzentriert. „Timo“ hat ein Erfolgserlebnis, als er eine Zinkzange anheben kann, die seine Lehrerin nicht zu bewegen vermochte. „Ayse“ findet es zwar irgendwie cool, dass man im Museum etwas anfassen darf, fragt sich aber, was das mit ihr zu tun hat.

„Abbie“ und „Nina“ haben keine Lust sich mit den Kriegen auseinanderzusetzen, da sie das alles schon aus der Schule kennen. Ihre Eltern finden die Thematik durchaus interessant und die Gruppe trennt sich gleich zu Beginn des Besuchs. Sie treffen sich am riesigen Dampfhammer wieder und möchten wissen wie dieser funktionierte. Sie finden den erklärenden Text nicht, der an der anderen Seite des Hammers hängt. Zum Glück kennt Oma „Linda“ die Ausstellung schon und kann weiterhelfen. Die Haushaltsgegenstände aus den 50er bis 70er Jahren finden dann alle interessant. Sie verbringen hier recht viel Zeit und „Abbie“ und „Nina“ freuen sich über das Design, das ja momentan wieder in ist. Oma „Linda“ ist entzückt, dass „ihr“ alter Fernseher im Museum steht und kommt ins Schwärmen. Aber langsam hätte es wirklich schon die erste Sitzgelegenheit geben können…

„Mesut“ bleibt mit seiner Familie die gesamte Zeit über im ersten Ausstellungsbereich,den sie sich ausgesucht haben. Es geht um die Kriegs- und Krisenzeiten vom Ersten und Zweiten Weltkrieg und sie finden viele Anknüpfungspunkte zu ihren eigenen Erlebnissen. Es ist aber auch aufwühlend und es fließen Tränen. Besonders beeindruckt sie ein Foto des zerbombten Oberhausens. „Mesut“ erstaunt das Ausmaß der Zerstörung, ihn stimmt dieses Bild aber hoffnungsvoll für die zukünftige Entwicklung seines Heimatlandes: Wenn Deutschland es „geschafft“ hat, hat Syrien doch auch eine Chance! Wichtiger Zwischenstopp auf dem Weg nach draußen ist die Blasformmaschine, an der die Kinder natürlich noch ein vor Ort hergestelltes Quietscheentchen haben wollen. Nach einer Stunde hätten sie gern einen Platz zum Picknicken gehabt.

„Gisela“ und „Jens“ finden den Einstieg in die Ausstellung nicht ganz einfach. Große Maschinen und zu hoch angebrachte Modelle frustrieren „Gisela“, weil sie diese aus Rollstuhlhöhe nicht komplett einsehen kann. „Jens“ möchte sich eigentlich andere Exponate näher anschauen, aber „Gisela“ gibt den Ton an.

Was hat uns der Workshop gebracht?

Was bringen uns die Geschichten von „Gisela“, „Jens“ und Co. außer ein bisschen Unterhaltung? Die konkreten Durchgänge durch das Konzept stoßen uns als Kurator*innen-Team und auch die Gestalter auf Problematiken der Ausstellung, die in der theoretischen Arbeit so manchmal nicht erkennbar sind. Sie zeigen eine Vielfalt möglicher Besucher*innenperspektiven auf. So war uns beispielsweise zwar schon vorher bewusst,dass die Ausstellung inhaltlich sehr dicht ist. Doch der Durchgang mit den Personas hat uns noch einmal besonders verdeutlicht, wie wenig Besucher*innen in einer Stunde anschauen können, selbst wenn sie immer nur fünf bis zehn Minuten für ein Thema aufwenden. Alle unsere imaginären Besucher*innen haben ihren Rundgang nach etwa einer Stunde abgebrochen, sei es um eine Pause zu machen oder das Museum (bis hoffentlich zum nächsten Besuch) ganz zu verlassen. Wir haben gelernt, dass wir unseren zukünftigen Besucher*innen Hilfsmittel an die Hand geben müssen, um diese kurze Zeit optimal zu nutzen und ihnen einen angenehmen und anregenden Museumsbesuch zu ermöglichen.

Der offene Raumplan bietet in der jetzigen Form die Möglichkeit, sich als Gruppe zu trennen und immer wieder zu finden, aber er fordert von den Besucher*innen auch viel selbstständige Schwerpunktsetzung, Zeitmanagement und Orientierung. In der anschließenden Diskussion wurden bereits erste Lösungsansätze diskutiert, wie Besucher*innen dies erleichtert werden könnte. Beispiele wären etwa vorher kommunizierte Themenrundgänge, ein Leitsystem nach „Baumarkt-Prinzip“ oder deutlich hervorgehobene Highlights, an denen Besucher*innen sich orientieren können. Diese Anregungen werden das Gestaltungsbüro und das Kurator*innen-Team in den weiteren Arbeitsprozess mit aufnehmen. Sehr gefreut hat uns aber, dass die allermeisten Besucher*innen grundsätzlich eine gute Zeit in der Ausstellung verbracht hätten. Besonders positiv wurde bewertet, dass die neue Dauerausstellung eine große Themen- und Medienvielfalt bietet und so „für jeden etwas dabei ist“. Historische Objekte und besonders die großen Originalmaschinen wurden als beeindruckend und authentisch erlebt. Dies alles waren wichtige Erkenntnisse, die wir zum einen durch die verschiedenen Perspektiven der fiktiven Personas, aber natürlich auch durch die unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmer*innen gewonnen haben.

Ein großes Dankeschön geht daher nochmal an alle Kolleg*innen, die teilgenommen haben, und an das Gestaltungsbüro Duncan McCauley, das den Workshop konzipiert hat. Wir hoffen, dass die Ergebnisse unseren zukünftigen Besucher*innen zu Gute kommen und freuen uns schon jetzt, „Mesut“, „Abbie“ und alle anderen in echt kennen zu lernen!

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