Das wird neu! Konzeptionelle Überlegungen zur neuen Ausstellung in der Zinkfabrik Altenberg

Die alte Dauerausstellung geht, eine neue wird kommen. Seit einiger Zeit arbeitet das Team des LVR-Industriemuseums Zinkfabrik Altenberg am Konzept der geplanten neuen Dauerausstellung. Einige konzeptionelle Überlegungen veranschaulichen den aktuellen Stand der Diskussion.

Ausgangsfrage der neuen Ausstellung ist: Welche Auswirkungen hatten die Industrialisierung und ihre Folgen in der Industrie- und Konsumgesellschaft auf den Menschen? Oder kürzer: Wie betrifft Industrialisierung den Menschen? Bei der neuen Ausstellung wird also der Mensch als Individuum im Mittelpunkt stehen. Hieraus ergeben sich für das Ausstellungsteam zwei grundlegende Thesen:

Die Industrialisierung setzt einen Prozess des individuellen Ringens um eine neue Identität in Gang und leitet damit einen allgemeinen Emanzipationsprozess ein.

Die Industrialisierung befreite den Menschen aus vorindustriellen, zumeist feudalen Abhängigkeiten und eröffnete für Viele neue Perspektiven. Die entstehenden Freiheiten waren allerdings mit neuen, andersartigen Abhängigkeiten und Hierarchien verbunden. So bildete nun die Lohnarbeit in einer Fabrik für die meisten Menschen den neuen Ausgangspunkt ihres Selbstverständnisses.
Langfristig setzte damit eine Tendenz zur Individualisierung und Emanzipation ein, immer wieder während Krisenzeiten unterbrochen oder sogar vorübergehend rückgängig gemacht. So eröffneten sich in Zeiten eines Arbeitskräftemangels neue Perspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit drohte Verelendung, die vorherige Errungenschaften wieder in Frage stellte. Und auch im industriellen Zeitalter rekrutierten sich Klassen zumeist aus sich selbst, doch waren und sind Chancen zum sozialen Aufstieg größer als im feudalen Zeitalter.
Das Industriezeitalter vergrößerte auch die Möglichkeit zu konsumieren, was ebenfalls Chancen einer neuen Identitätsfindung schuf. Die industrielle Fertigungsweise gewährleistete die hierzu notwendige mengenmäßige Verfügbarkeit von Konsumgütern.
Identität und Emanzipation sind jedoch mehr als eine Klassenfrage. Identitäten eröffnen sich auf verschiedenen Ebenen: mit der sozialen Stellung (Arbeiter, Angestellter, Manager, Unternehmer), mit dem Unternehmen (Kruppianer, Hoeschianer), mit dem Geschlecht, mit einer Peer Group (Jugendlicher, Senior, Freizeitaktivität), mit der Profession (Wissenschaftler, Ingenieur, Journalist, Intellektueller, Banker), mit Ethnien (insbesondere bei Fragen der Migration), mit der Religionszugehörigkeit und anderen Gruppen.

Industrialisierung fördert einen Prozess des Strebens nach Wohlstand und verbessert auf lange Sicht die Lebenssituation eines immer größeren Teils der Menschheit.

Bei dieser Frage nach gesellschaftlicher Teilhabe ist zwischen materiellen und immateriellen Aspekten zu unterscheiden. Der materielle Aspekt misst sich an den Möglichkeiten zu konsumieren, der ideelle Aspekt an den Chancen, eine frei gewählte individuelle Lebensweise zu realisieren. Dies beinhaltet die Teilhabe am Arbeitsplatz sowie die Verwirklichung in der Freizeit. Die Verbesserung des Lebensstandards kam mit der Industrialisierung allerdings nicht von allein, sondern musste – vor allem von der Arbeiterschaft – in Kämpfen um Lohn und Freizeit erstritten werden. Auch diese These gilt nur auf lange Sicht. Langfristig stiegen die Einkommen real und ermöglichten eine Ausdehnung des individuellen Konsums.
Der über Konsum vermittelte Wohlstand nutzt Ressourcen. Daraus ergibt sich die Frage nach Macht, denn: Die Verfügbarkeit über Ressourcen schafft Macht. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach den Kosten: Wer bezahlt den Wohlstand? Hier sind regionale und globale sowie branchen- und gendermäßige Betrachtungen nötig. So bewirkt der Prozess einer fortschreitenden Teilhabe Verteilungskämpfe auf nationaler und internationaler Ebene und beeinflusst die Umwelt, was wiederum auf die Lebensqualität der Menschen zurückwirkt.

Beide Prozesse der verstärkten Teilhabe und der Herausbildung differenzierter Identitäten resultieren aus Entwicklungen sowohl der Arbeits- als auch der Konsumgesellschaft, die sich nahezu parallel etablierten und sich gegenseitig bedingen. In der Gegenwart löst sich die mit der Industrialisierung entstandene Klassengesellschaft durch weiter zunehmende Identifikationsangebote weitgehend auf bzw. wird durch eine neue Form von „Klassendifferenzierung“ (Mittelschichtsgesellschaft, Prekariat) ersetzt.

Arbeit und Konsum werden wiederum beeinflusst von Faktoren wie Globalisierung, Wissen, Energie und Werkstoffen. Die vielfältigen Beziehungen zwischen all diesen Faktoren werden in der Ausstellung an ausgewählten Beispielen aufgezeigt und in die Darstellung von Arbeit und Konsum eingeflochten.

Die Ausstellung teilt sich in drei eher thematische Teile, die jedoch auf bestimmte Zeitschnitte zurückgeführt werden können:

  • Teil 1: Die Fabrik
    „Die Fabrik“ beinhaltet die Herausbildung der neuen industriellen Produktionsform mit all ihren sozialen, ökonomischen und privaten Veränderungen. Die Darstellung wird ihren zeitlichen Schwerpunkt in den Jahren zwischen 1870 und 1910 haben, aber auch Rück- und Ausblicke enthalten. Der inhaltliche Schwerpunkt wird in diesem Ausstellungsteil auf der Produktion bzw. Arbeit liegen. Der Konsum spielt hier nur eine Nebenrolle.
  • Teil 2: Die Massenkultur
    In dieser Phase der „industriellen Moderne“ bildet sich das fordistische System heraus. Standardisierung und Rationalisierung prägen die Produktion und ermöglichen in den westlichen Gesellschaften den standardisierten Massenkonsum. Produktion und Konsum stehen in dieser Phase gleichberechtig nebeneinander. Diese Phase beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts und dauert bis in die 1970/80er Jahre.
  • Teil 3: Digitalisierung und Individualisierung
    Der dritte Ausstellungsteil behandelt die Phase der sogenannten Spätmoderne und reicht damit bis in die Gegenwart. Die Digitalisierung ermöglicht neue, deutlich veränderte Produktionssysteme mit einem individualisierten Arbeiten. Parallel dazu bleibt das alte Produktionsregime in zahlreichen Bereichen bestehen, auch global. Es kommt zu einer neuen Form der Klassengesellschaft, die sich vor allem in prekären Beschäftigungsverhältnissen spiegelt. Gleichzeitig kommt es zu einem immer individuelleren Konsumverhalten. Die neuen technischen Möglichkeiten lösen Konsum und Produktion zumindest teilweise von ihrem festen Ort.

Dies sind die aktuellen Gedanken des neuen Ausstellungskonzeptes. Die Umsetzung ist in Arbeit!

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