Das etwas andere Reisetagebuch

Zwei Tage geprägt von Anspannung, staunenden Gesichtern, faszinierendem Kranballett und beeindruckender Präzision. Am 29. Januar ging unsere 50er-Dampflok auf die Reise in ihr neues Zwischendepot. Zur Eröffnung der neuen Dauerausstellung wird sie in die Walzhalle der Zinkfabrik Altenberg zurückkommen. Eine Reportage aus Sicht des Museumsleiters.

Dienstag, 29.1.2019, 8:30 Uhr

Ich komme zu meinem Arbeitsplatz. Der Fabrikhof der Zinkfabrik Altenberg ist leer. Das Parkverbot wurde befolgt. Nur ein paar wenige Fahrzeuge stehen am Rand des Platzes. Die werden nicht stören. Dicke Stahlbleche liegen vor dem großen Tor, durch das unsere Dampflok heute die Walzhalle verlassen wird. Ich gehe in mein Büro und schaue, ob es neue Nachrichten zu unserm großen Event gibt. Ich bin nervös, denn: Heute geht die Dampflok auf Tour!

Dienstag, 29.1.2019, kurz nach 10 Uhr

Unruhe auf unserem Fabrikhof, von der Hansastraße kommen große Fahrzeuge auf das Gelände: Zwei Schwerlastkräne, Schwerlasttransporter, Begleitfahrzeuge, mehrere Sattelschlepper mit Gewichten und weiterem Zubehör. Die ersten Fotografen tauchen auf. Ein Filmteam des LVR-Zentrums für Medien und Bildung bereitet sich auf seine Aufnahmen vor. Auch die ersten Zuschauer erscheinen neugierig und bibbern in der Kälte. Schnell reagieren die Kollegen von SOVAT und bringen dankenswerterweise Kaffee und Tee für die Arbeiter (und auch für das Publikum). Nun kann es losgehen.

Dienstag, 29.1.2019, 11 Uhr

Die Arbeit der Spezialfirmen ist faszinierend. Alles hat sich für den ersten großen Akt sortiert. Die Kräne stehen bereit. Der Schwerlasttransporter hat seinen Platz gefunden. Eine Zugmaschine steht für ihren Einsatz bereit. All das geschieht mit beeindruckender Ruhe und Präzision. Alle Handgriffe sind routiniert aufeinander abgestimmt. Nur etwa 40 Minuten später hat die Zugmaschine unsere große Dampflok am Haken. Jetzt gilt es, kräftig zu ziehen und sie auf die Stahlplatten vor der Halle zu befördern. Alles klappt problemlos. Der Wagen schafft es mit seiner enormen Kraft und unsere Lok erblickt zum ersten Mal seit 1994 wieder Tageslicht.

Zugmaschine in Aktion

Dienstag 29.1.2019, kurz vor 13 Uhr

Der nächste große Augenblick ist gekommen. Das Publikum ist immer zahlreicher geworden. Die Vorrichtungen zum Heben der Lok sind angebracht. Die Kräne ziehen die Seile stramm. Es kommt zur ersten Ballettaufführung unsere Kranmannschaft. Synchron heben die beiden Kräne die Lokomotive an. Langsam steigt sie in die Höhe. Jetzt darf nichts schiefgehen. Heben, Drehen und Absetzen. Nach knapp zehn Minuten steht die Lok stabil auf dem Schwerlasttransporter. Was jetzt folgt sind weniger spektakuläre Arbeiten, die vom Personal der Kranfirma und Transportfirma routiniert erledigt werden: Verzurren der Ladung nennt man das, was zwar unspektakulär anmutet, bei einem solchen Schwertransport aber äußerst wichtig ist und extrem sorgfältig zu geschehen hat. Anschließend wird die Lok auf den Nebenhof gefahren und wartet auf die Transportabnahme.

Dienstag 29.1.2019, 15:45 Uhr

Der TÜV war da. Die Verzurrung der Ladung ist geprüft und genehmigt. Jetzt kann die Lok in die Parkstellung für die Nacht gefahren werden. Und es gibt Einfacheres als das. Sie muss auf dem Schwerlasttransporter um eine enge Kurve bugsiert werde und dann den schmalen Weg hinter der Walzhalle entlang. Aber auch hier zeigt sich die Routine der Arbeiter. Es benötigt nur wenige Korrekturen und der Doppeldecker aus Tieflader und Lok hat die Kurve geschafft. Auch der Rest des Weges stellt kein Hindernis dar. Schon zehn Minuten später ist ihr Parkplatz für die Nacht erreicht. Das Tageswerk ist geschafft. Der Chef des mit der Organisation beauftragten Restaurierungsbetriebs ist zufrieden. Ich bin es auch. Jetzt heißt es ausruhen, denn am nächsten Morgen geht es sehr früh weiter.

Mittwoch, 30.1.2019, 4 Uhr

Es ist noch dunkel und es ist kalt. Die Polizei sperrt die Hansastraße, auch wenn kaum Verkehr ist. Unser Schwertransport setzt sich in Bewegung. Die Lok wird langsam aber sicher auf die Straße gefahren. An der gegenüberliegenden Bushalltestelle wartet ein einsamer Fahrgast. Als eine historische Dampflok vor seinen Augen auf die Straße rollt, scheint es als traue er seinen Augen nicht, als frage er sich, ob er noch träumt. Schnell zückt er sein Handy für ein Erinnerungsfoto.

Der Tieflader nimmt die erste und schwierigste Kurve mit Bravour. Dann setzt sich eine Zugmaschine davor und die Fahrt zum ehemaligen Oberhausener Güterbahnhof kann starten. Auch an der Kreuzung Hansastraße / Buschhausener Straße staunen die wenigen Autofahrer nicht schlecht, als ihnen eine Dampflok die Vorfahrt nimmt. Natürlich war die Kreuzung durch die begleitende Polizei abgesperrt. Vierzig Minuten und 600 Meter Straße später ist das nächste Ziel erreicht.

Mittwoch, 30.1.2019, 6 Uhr

Die Kranmannschaft ist wieder gefragt und auch die Schwerlastkräne sind wieder im Einsatz. Sie müssen die Dampflok vom Schwertransporter auf das Gleis heben. Sie werden nun auf dem Güterbahnhof an der richtigen Stelle aufgebaut, um die Prozedur vom Vortrag zu wiederholen. Alles muss exakt stimmen.

Mittwoch 30.1.2019, 7:15 Uhr

Eine Diesellok einer privaten Eisenbahngesellschaft trifft ein. Sie wird unsere Lok zu ihrem Zwischendepot schieben und ziehen. Geduldig wartet sie in Parkstellung, denn noch steht unsere Dampflok nicht auf den Schienen.

Mittwoch 30.1.2019, kurz vor 8 Uhr

Die Dampflok hängt erneut in der Luft. Die Kräne heben sie vom Schwertransporter, müssen sie wieder drehen und auf das Gleis setzen. Für die Arbeiter ist es Routine, aber für mich ist es wieder ein tolles Ballett, das die Kräne aufführen. Exakt abgestimmt und präzise landet die Lok auf den Schienen. Der Abfahrt steht nichts mehr im Weg.

Mittwoch 30.1.2019, 8:30 Uhr

Unser Zug, bestehend aus der abwechselnd schiebender und ziehender Diesellok und unserer Dampflok, fährt los. Es geht in Richtung Depot nach Duisburg. Ein kurzer Zwischenstopp im Oberhausener Hauptbahnhof und dann geht es auf große Fahrt.

Mittwoch 30.1.2019, 10 Uhr

Schneller als erwartet, fährt unser Zug seine Strecke. Er erhält immer wieder schnell die Durchfahrt, so dass die Fahrtzeit wesentlich kürzer ist als gedacht. Nun warten wir schon auf die Ankunft an der Lagerhalle. Nachdem zunächst doch noch ein anderer Zug das Gleis räumen muss, biegt unsere Lok geschoben von der Diesellok um die Kurve. Nun sind wir fast am Ziel.

Erste Schneeflocken fallen. Die letzten 200 Meter fährt unser Zug schon durch dichtes Schneetreiben – mein toller Anblick! Jetzt muss unsere Lok noch ein letztes Mal das Gleis wechseln. Wieder ist Kraneinsatz erforderlich. Nochmals ist Geduld angesagt.

Mittwoch 30.1.2019, 13 Uhr

Die Lok hängt letztmals an Kranhaken. Nochmals geht sie, dieses Mal im Schneetreiben, in die Luft und wird wenige Minuten später auf das parallel liegende Gleis gesetzt. Dies führt direkt in die Lagerhalle, die für drei Jahre das neue Domizil unserer 50er sein wird. Nachdem die Kräne die Schienen geräumt haben, wird die Lok in die Halle geschoben, dann ist der letzte Akt vollbracht.

Mittwoch 30.1.2019, 14 Uhr

Es ist geschafft. Die Lok steht an ihrem Platz. Mit zwei Zugmaschinen wurde sie auf den Schienen in die Halle bugsiert. Nur noch Hemmschuhe als Bremsen unterlegen und dann ist die Arbeit für heute getan. Jetzt ist Aufwärmen angesagt. Es war doch kälter als erwartet. Auf Wiedersehen in drei Jahren, Dampflok. Dann geht es Retour ins Museum. Dort wird unsere Lok wieder einen Ehrenplatz erhalten und unsere Besucherinnen und Besucher im Ausstellungsfoyer begrüßen.

Ein Dank an alle Beteiligten: meinen Kolleginnen und Kollegen vom Museum, dem mit der Arbeit beauftragten Restaurierungsbüro und seinen Mitarbeitern, den Kollegen der Kranfirma und der Firma für den Schwerlasttransport, der privaten Eisenbahnfirma, die die ziehende Diesellok stellte, der Polizei für die Absperrung und allen anderen Beteiligten. Ihr habt eine perfekte Arbeit abgeliefert. Und es hat Spaß gemacht.

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