„Was ist denn das da drüben?“
„Ein Handkraftmessgerät oder umständlicher: ein Dynamometer.“
„Kann ich das mal ausprobieren?“
„Na klar, greif nur zu!“
Ein Beitrag von Tobias Hoeps
So oder so ähnlich verlief meine Entdeckung des Dynamometers. Der damalige Volontär des LVR-Industriemuseums Zinkfabrik Altenberg, führte mich durch die Ausstellung und ich hatte bereits viel über die Zinkfabrik und die Industrialisierung des Ruhrgebiets erfahren. Dann standen wir vor einer Ausstellungseinheit, die unterschiedliche Objekte zur Messung und Beurteilung der Arbeitskraft von Fabrikarbeitern zeigte. Dies weckte sofort meine Aufmerksamkeit. Wieso? Das ist einfach zu beantworten: Weil man hier mitmachen durfte. Es war eine willkommene Abwechslung. Nach der gedanklichen Arbeit und dem Aufsaugen von Information freute ich mich, etwas ausprobieren zu dürfen.
Nun zog ich so fest wie irgend möglich am Handkraftmesser. Neben dem Gerät war eine Digitalanzeige, die den gemessenen Druck mit über 200 N anzeigte und siehe da, ich wurde sogar von Daniel gelobt: „Gar nicht so schlecht.“ Ein Lob, noch ein Pluspunkt für das Objekt.
Aber bei all der Auswahl in der Zinkfabrik Altenberg kann man zurecht fragen: Warum ist gerade das Handkraftmessgerät mein Lieblingsobjekt? Es ist meiner Meinung nach gerade deshalb so interessant, weil es rein optisch zwar nicht allzu imposant, ja sogar ein wenig unscheinbar daherkommt, auf den zweiten Blick aber eine spannende Geschichte zu erzählen weiß. In Museen sind es oft gerade die Exponate, die eines zweiten Blickes bedürfen, welche uns beeindrucken und lange nachhallen können. Nach dem ersten anfänglichen Spaß am Mitmachen kommt die Frage, was das eigentlich überhaupt ist und wozu es einst diente. Ich wollte mehr darüber erfahren, mein Interesse war geweckt.
Das Dynamometer kam im Zuge der „industriellen Psychotechnik“ in den 1920er Jahren auf und verbreitete sich schnell in Europa und den Vereinigten Staaten. Die Psychotechnik wollte die Arbeitnehmer auf ihr Leistungsvermögen und ihre Belastbarkeit testen und die erhobenen Daten vergleichbar machen. So war das Dynamometer Teil eines Eignungstests, der die Fähigkeiten und den Charakter der Prüflinge messen sollte. Es wurde erhofft, eine Rationalisierung der Auswahl von Arbeitern zu erzielen, was wiederum betriebliche Prozesse optimieren sollte. Besonders interessant ist, dass es beim Dynamometer nur zweitrangig um die Messung der tatsächlichen Handkraft des Prüflings ging. Vielmehr sollte mithilfe der Maschine dessen Willenskraft gemessen werden. Dazu wurde die gemessene Handkraft zum Brustumfang und der Körpergröße der Prüflinge in Beziehung gesetzt. Die Tester wollten sehen, wie sehr sich der Prüfling bei dieser Aufgabe anstrengte. Mit Hilfe dieser Daten meinten sie, „den richtigen Mann an den richtigen Platz“ stellen zu können. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg geriet die industrielle Psychotechnik in eine Krise. Zum einen mangelte es an einer theoretischen Basis, die den praktischen Teil der Untersuchungen hätte stützen können. Zum anderen stieß sie auf erhebliche Kritik seitens der Gewerkschaften. Das ist bei den Zielen der Psychotechniker, wie „ungeeignete Kräfte auszumerzen und sie durch leistungsfähigere zu ersetzen“, nicht wirklich überraschend. Letztlich vereinnahmte der Nationalsozialismus die Psychotechnik, was nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig ihr Ende in der bisherigen Form besiegelte.
Eine kleine, recht unscheinbare Gerätschaft birgt diese spannende Geschichte. Und all das erfährt man, weil man Spaß daran hat, an einem Hebel zu ziehen, der einem erst einmal gar nichts sagt. Mir persönlich machen Museen in diesen kleinen Momenten besonders viel Freude. Ich kann nur jeden Museumsbesucher ermuntern, mitzumachen und auszuprobieren, denn man weiß nie, was sich selbst hinter den kleinsten Objekten verbirgt.
Tobias Hoeps promoviert in Neuster Geschichte und war von 2018-2019 wissenschaftliche Hilfskraft in dem LVR-Industriemuseum St. Antony Hütte in Oberhausen.
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