Die Baugeschichte der Zinkfabrik Altenberg
Teil 1: Die Walzhalle
Die Zinkfabrik Altenberg ist das einzige Fabrikensemble des Ruhrgebiets, das heute noch weitgehend so erhalten ist, wie es zu seiner Blütezeit Anfang des 20. Jahrhunderts ausgesehen hat. Diese Anlage entsteht nicht mit einem Mal, sondern bekommt in vielen kleinen Schritten von Ausbau, Abriss und Neubau ihr heutiges Gesicht. In dieser fünfteiligen Reihe bekommen Sie einen Einblick in die Entwicklungsgeschichte der einzelnen Bauten auf dem Fabrikgelände.
Ein Beitrag von Daniel Sobanski
„Die Stadt Oberhausen ist sehr industriell“
So beschreibt ein Besucher aus Belgien auf einer Postkarte seine ersten Eindrücke, nachdem er im Jahr 1900 aus einem Zug steigt. 50 Jahre zuvor hätte wohl niemand so über diesen Ort gesprochen. Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es in der oft beschriebenen „öden Heidegegend“ noch nichts – so gut wie nichts. Doch bereits um 1850 zeichnet sich ab, zu welcher „großen und sehr industriellen Stadt“ sich Oberhausen in nur wenigen Jahren entwickeln wird. 1847 eröffnet die Bahnstation der Köln-Mindener Eisenbahn, die der Stadt ihren Namen geben wird und 1850 teuft direkt daneben die Zeche Concordia ihren ersten Schacht ab. Transportinfrastruktur und fossiler Brennstoff – damit sind die Entwicklungskeime für ein Industriegebiet gelegt.
Pionier auf der „öden Heide“
Eines der Unternehmen, das sich an diesem gerade entstehenden Hotspot der Industrialisierung niederlässt, kommt aus Belgien. Die Société Anonyme de la Vieille Montagne wird 1837 in Liège (Lüttich) gegründet und expandiert in den folgenden Jahren in Belgien und Frankreich. Der Weg der Vieille Montagne (VM) zum Weltmarktführer führt auch über Preußen und die anderen deutschen Staaten – das Deutsche Reich entsteht erst 1871. Doch zwischen der VM und dem neuen lukrativen Absatzmarkt gibt es eine Barriere. Seit den 1830er Jahren bilden die meisten Deutschen Staaten eine Wirtschaftsunion, den Deutschen Zollverein; und dieser Zollverein erhebt Schutzzölle auf viele Industrieprodukte. Damit will man die Industrie in den deutschen Ländern vor der Konkurrenz aus anderen europäischen Staaten schützen, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts den deutschen Unternehmen noch technisch überlegen ist. Um auf dem deutschen Markt Fuß fassen zu können, muss die VM also eine andere Strategie entwickeln. Das Unternehmen umgeht die Zollbarrieren, indem es im Ruhrgebiet mehrere Fabriken aufbaut.
In Mülheim und Essen-Borbeck gibt es bereits Zinkhütten, die mit mehr oder minder großem Erfolg Zink produzieren. Die VM übernimmt die beiden Standorte. Was fehlte, war ein Walzwerk, das Zinkbleche erzeugt, aus denen wiederum das wichtigste Produkt hergestellt werden kann, Dachbleche aus Zink. Da Zink nicht rostet, widersteht es jeder Witterung und ist deshalb perfekt geeignet, um damit Dächer zu decken.
Der erste Spatenstich
Die Gesellschaft Rhein-Preußen, der die Zinkhütte in Borbeck zuvor gehört hat, kauft 1853 – unmittelbar vor der Fusion mit der VM – das Grundstück an der Oberhausener Bahnstation, auf dem sich heute die Zinkfabrik Altenberg befindet. Die VM beginnt 1854 damit, ein Walzwerk zu errichten.
Auf dem ersten überlieferten Bild des Zinkwalzwerks, einer Lithografie des belgischen Künstlers Adrienne Canelle aus dem Jahr 1856 (s. Header Bild), erinnert nichts an die Walzhalle, die heute auf dem Gelände der Zinkfabrik Altenberg steht. Im hinteren, eineinhalbgeschossigen Teil des Gebäudes befinden sich eine Dampfmaschine mit angeschlossener Walze und ein Schmelzofen. Dahinter gibt es außerdem Werkstätten und eine Stube für den Aufseher. Der vordere, zweigeschossige Teil der Walzhalle beherbergt das Magazin sowie die Wohnung des Werksleiters im ersten Stock des Gebäudes. Drei Kessel, die die Antriebsmaschine mit Dampf versorgen, stehen in einem Anbau auf der linken Seite der Walzhalle, der auf der Lithografie kaum zu erkennen ist. Der Rauch, der beim Feuern der Kessel entsteht, wird durch einen unterirdischen Kanal zum Kamin der chemischen Fabrik Hasenclever (später Rhenania) geleitet, erkennbar am rechten Bildrand.

Der eineinhalbgeschossige Anbau, der auf der Lithografie links vom Magazin- und Wohntrakt zu sehen ist, entsteht in einem zweiten Schritt zwischen 1854 und 1856. Dort werden weitere Lagerräume untergebracht. Ursprünglich plant die VM eine zweite Walzhalle weiter links, die durch den neuen Magazinbau mit der ersten Walzhalle verbunden werden soll. Die beiden Walzhallen und zwei Verbindungsbauten hätten so ein symmetrisches Gebäude mit großem Innenhof geformt. Außerdem soll auf dem hinteren Teil des Geländes – in Richtung der heutigen Altenberger Straße – eine Bleihütte errichtet werden.
Doch es kommt anders. 1856/57 erweitert die VM ihren Maschinenpark um eine zweite Walze mit eigener Dampfmaschine samt eines vierten Kessels. Der hintere Teil des Gebäudes erhält eine zweite Etage. Vermutlich müssen die Werkstätten aus dem Erdgeschoss verlagert werden, um Platz für die zweite Walze zu machen. In den folgenden Jahren baut die VM die Walzhalle stückweise immer weiter aus. In Richtung der Altenberger Straße kommen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder kleine Anbauten hinzu, die zusätzliche Maschinen, Lagerräume und eine Klempnerei beherbergen. Letztere ist besonders wichtig, denn dort werden aus den Zinkblechen verschiedene Dachbleche produziert. Dazu müssen die Arbeiter die Bleche in die benötigte Länge und Form bringen und entsprechende Kanten (Falzen) biegen, mit denen die Bleche auf dem Dach miteinander verbunden werden können. So vergrößert sich die Walzhalle weiter, bis sie etwa 1904 mit der Röstanlage an der Altenberger Straße zusammenwächst. Aus dem kleinen Fabrikbau, den die Lithografie von Canelle zeigt, wird bis zur Wende zum 20. Jahrhundert eine große Werksanlage. Das Werk dürfte dem Besucher aus Belgien, der im Jahr 1900 den Oberhausener Bahnhof verlässt, mit als erstes ins Auge fallen und bei ihm deshalb den Eindruck einer sehr industriellen Stadt hinterlassen haben.


Eine neue Fassade
Um 1904 erhalten die Walzhalle und der Rest der Fabrik weitgehend ihr heutiges Erscheinungsbild. Der alte Querbau an der Hansastraße, die damals noch Concordiastraße heißt, verschwindet und öffnet den jetzigen Zugang zum Fabrikgelände. Das Magazingebäude mit dem heute prominenten Schriftzug Altenberg wird zwischen 1911 und 1913 gebaut. Schon 1904 bekommt die Walzhalle, die aufgrund des kleinschrittigen Ausbaus regelrecht zusammengestückelt gewirkt haben muss, eine neue, einheitliche Fassade und die von weitem erkennbare Front mit dem Doppelgiebel. Vom Fabrikhof sind heute noch die unterschiedlich breiten Gebäudeteile zu erkennen, die auf die einzelnen Anbauten hinweisen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bilden die Walzhalle und die frühere Röstanlage allerdings noch ein zusammenhängendes Gebäude. Im zweiten Teil dieser Reihe erfahren Sie mehr über die Geschichte der Rösterei.
Quellen- und Literatur:
Becker, Susan: Multinationalität hat verschiedene Gesichter. Formen internationaler Unternehmenstätigkeit der Société Anonyme des Mines et Fonderies de Zinc de la Vieille Montagne und der Metallgesellschaft vor 1914, Stuttgart 2002.
Bruch, Claudia: Zink Altenberg, in: Rheinisches Industriemuseum Oberhausen (Hrsg.): Schwerindustrie, Essen 1997, S. 22-41.
Situationsplan des Grundstücks der Gesellschaft Vieille Montagne zu Oberhausen, 19.7.1854, Université de Liège. Centre d’Histoire des Sciences et des Techniques (CHST) V 120.
Zeichnung zu dem Conzessions-Gesuch der Gesellschaft des Altenbergs um Anlage einer Bleihütte auf der Station Oberhausen, CHST V 164.
Plan des Walzwerks der Gesellschaft Vieille Montagne zu Oberhausen, 5.8.1854,
Situationsplan der von der Gesellschaft des Altenbergs zu Oberhausen projectirten Bleihütten, o.D., CHST V 166
Situationsplan des Etablissements der Gesellschaft Vieille Montagne zu Oberhausen, 15.10.1856, CHST V 142;
Lageplan ohne Titel, o.D. (1856), CHST V 121
Lageplan ohne Titel, 22.5.1857, CHST V 155.
Kesselzeichnung zum Conzessionsgesuch für die Anlage zweier 45pferdigen Dampfmaschinen auf dem Walzwerk der Gesellschaft Vieille Montagne zu Oberhausen, 27.5.1857, CHST V 143.
Stadtplan Gemeinde Oberhausen, 1857, Stadtarchiv Oberhausen.
Conzessionszeichnung über die Anlage eines Dampfkessels zum Betrieb der Walzwerksmaschinen auf dem Etablissement der Gesellschaft Vieille Montagne zu Oberhausen, 9.12.1861, CHST V 125;
Situationsplan über die Anlage zweier Dampfkessel auf Etablissement der Gesellschaft Vieille Montagne zu Oberhausen, 19.12.1861, CHST V 136;
Conzessionszeichnung über die Anlage eines Dampfkessels zum Betrieb der Quetschmühlen auf dem Etablissement der Gesellschaft Vieille Montagne zu Oberhausen, 19.12.1861, CHST V 161.
Plan zum Bau-Consens-Gesuch Gebäude A, 15.7.1868, Stadtarchiv Oberhausen, Alt-Oberhausen 3874.
Vieille Montagne. Plan de situation de l’Etablissement d’Oberhausen. Ausfertigung vom 11.2.1879, Stadtarchiv Oberhausen, Alt-Oberhausen 3874.
Zeichnung zum Concessionsgesuch für einen Speiseraum und Waschraum für die Arbeiter, 24.4.1884, Stadtarchiv Oberhausen, Alt-Oberhausen 3874;
Situationsplan zum Concessions-Gesuch eines Anbaus der Klempnerei, 25.1.1884, Stadtarchiv Oberhausen, Alt-Oberhausen 3874.
Fotografie, o.D., CHST V68.3/5
Situationsplan der Zinkhütte Vieille Montagne Oberhausen, 10.8.1888, Stadtarchiv Oberhausen, Alt-Oberhausen 3874; Handzeichnung, 29.11.1899, Stadtarchiv Oberhausen, Alt-Oberhausen 908.
Bericht des Direktors der Oberhausener Niederlassung der Vieille Montagne, 13.9.1892(?), Archiv der Vieille Montagne.
Lageplan Teilabbruch – Teilneubau der Walzwerkhalle, 5.2.1904, LVR-Industriemuseum.
Lageplan Teilabbruch – Teilneubau im nordwestlichen Bereich der Walzwerkhalle, 20.1.1905, LVR-Industriemuseum.
Großflächige Veränderung im mittleren Bereich der Walzwerkhalle, 6.5.1905, LVR-Industriemuseum.
Konstruktionszeichnung Neue Dachconstruction des Walzwerkgebäude, 9.5.1905, LVR-Industriemuseum.
Zeichnung, Vergrößerung der Walzwerkhalle der „Vieille Montagne“, 17.3.1914, LVR-Industriemuseum.
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