Sculpture Factory von Quayola in der Zinkfabrik Altenberg

Neues Zeug: Skulpturen aus der Sculpture Factory

Römische Mythologie, Roboter mit Sinn für die Kunst und nächtliche Aktivitäten in einer alten Industriehalle? Klingt nach einem Science-Fiction-Roman? Gemeinsam mit unseren Besucher*innen konnten wir das Ganze im März 2022 live miterleben.

Das gemeinsame Projekt „FUTUR 21 – kunst industrie kultur“ der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen regte Diskussionen über die Zukunftsthemen des 21. Jahrhunderts an und betrachtete die Orte industrieller Vergangenheit aus neuen Blickwinkeln. Künstlerische Arbeiten an 16 Industriemuseen rückten dabei jeweils einen Themenschwerpunkt in den Mittelpunkt: Arbeit, Ressourcen, Energie und Fortschritt.  Auf der Baustelle in unserer Walzhalle wurde das Werk Sculpture Factory des Künstlers Quayola präsentiert.

Vor einigen Wochen haben wir euch hier bereits zum Making of des Kunstwerks hinter die Kulissen der Sculpture Factory mitgenommen. Nun möchten wir euch noch einmal genauer die Hintergründe unserer neuen Exponate vorstellen.

Link zum Futur 21 Festival

Link zur Website von Quayola

Link zum Making of

Antike Mythologie, barocke Kunst und neue Technologien

Die Idee der Sculpture Factory stammt von dem italienischen Künstler Quayola. Mit Hilfe von Technologie geht er in seinen Werken scheinbaren Gegensätzen wie dem Realen und dem Künstlichen, dem Figürlichen und Abstrakten, sowie dem Alten und dem Neuen nach. Seine Arbeiten wurden bereits weltweit ausgestellt, von Seoul bis Linz, von Astana bis New York und nun auch im Rheinland.

Marmorskulptur einer mythologischen Szene
„Der Raub der Proserpina“ von Gian Lorenzo Bernini, ausgestellt in der Galleria Borghese in Rom. / Foto: Architas, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Rape_of_Proserpina_(Rome).jpg?uselang=de#file

Mit der Sculpture Factory bezieht sich Quayola auf die Skulptur „Der Raub der Proserpina“ des Bildhauers Gian Lorenzo Bernini (1598-1680). Bernini übersetzte in dieser Arbeit einen antiken Mythos in Stein, der die Entstehung der Jahreszeiten thematisiert: die Entführung von Proserpina, Tochter des obersten römischen Gottes Jupiter und dessen Gemahlin Ceres, Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit. Wie so oft in der griechisch-römischen Mythologie ist der Bösewicht ein naher Verwandter: Jupiters Bruder Pluto, Herrscher über die Unterwelt. Er möchte Proserpina zur Frau nehmen und verschleppt sie daher in sein Reich. Ihre Mutter macht sich auf die Suche nach ihr. Wütend und verzweifelt über das Verschwinden ihrer Tochter stellt Ceres das Wachstum der Pflanzen ein. Doch als sie sie endlich findet, ist es bereits zu spät: Proserpina hat in der Unterwelt Nahrung zu sich genommen und ist damit an den Ort gebunden. Da sie jedoch nur wenige Granatapfelsamen gegessen hat, muss sie nur einen Teil des Jahres in der Unterwelt verbringen. Die restlichen Monate darf sie die Welt der Lebenden besuchen und so lässt ihre Mutter Ceres jedes Jahr in dieser Zeit die Erde erblühen.

Während Bernini den Marmor so meisterhaft bearbeitet, dass die Illusion der dargestellten Oberfläche – z.B. menschlicher Haut – entsteht, rückt Quayola das Imperfekte in den Mittelpunkt. Seine Skulpturen sind nur teilweise aus dem Material herausgearbeitet und bleiben ungeglättet. Damit orientiert er sich an Michelangelos Technik des „non-finito“ und die Figuren bleiben bewusst „unfertig“. Sie passen damit gut zur rauen und unfertigen Ästhetik der alten Walzhalle und auch der Baustelle. Aus manchen Perspektiven betrachtet, erinnert die Struktur der Skulpturen Quayolas mit ihren geschwungenen Rillen an topografische Reliefkarten, was daran liegen könnte, dass die Technologie ursprünglich für diesen Bereich entwickelt wurde.

Geschwungene Rillen: Struktur im Material einer Skulptur von Quayola
Detail einer Skulptur aus der Sculpture Factory von Quayola. / Foto: LVR-Industriemuseum

Mindestens genauso wichtig an dem Kunstwerk wie die entstandenen Skulpturen selbst ist aber ihr Entstehungsprozess: Nicht Quayola bearbeitet die riesigen Styroporblöcke, sondern ein Industrieroboter der Firma Kuka. Er wurde vorab in Zusammenarbeit mit dem Labor für Kreative Robotik der Kunstuniversität Linz programmiert und fräste in der Festivalwoche vor den Augen des Publikums die mythologische Szene aus den weißen Blöcken. Die Sculpture Factory wirft die Frage auf, was eigentlich genau das Kunstwerk ist: Die „unfertige“ Skulptur oder der Entstehungsprozess? Und wann genau fängt dieser an? Während sich der Roboter Stück für Stück durch das Styropor fräst, beim Feintuning während des Aufbaus oder vielleicht sogar schon beim Schreiben des Codes?

Link zum Labor für Kreative Robotik

Unser Alltag mit Robotern: Die Skulpturen in der Dauerausstellung

Die Sculpture Factory fragt auch: Wer arbeitet hier eigentlich künstlerisch? Ist es Quayola, obwohl er selbst die Styroporblöcke gar nicht anfasst? Oder ist es der Roboter, der die Formen aus dem Material herausarbeitet – aber eben (noch?) nach „Anweisung“. Damit kommen wir langsam der neuen Dauerausstellung näher, denn ein Teil der Sculpture Factory bleibt der Zinkfabrik erhalten. Wir übernehmen drei der Skulpturen sowie ein Videointerview mit Quayola, in dem der Roboter in Aktion zu sehen ist, in die Sammlung des LVR-Industriemuseums. Thematisch schließen sie an einen Ausstellungsbereich an, der sich mit dem Miteinander von Mensch und Maschine beschäftigt. In Zukunft wird das Zusammenleben mit Maschinen unseren Alltag immer mehr prägen. Bereits jetzt erleichtern sie uns an vielen Stellen das Leben. Was aber wenn es an das geht, wovon wir glauben, dass es uns einzigartig macht: Unsere Kreativität, Intelligenz, Empathie, Improvisations- und Urteilsvermögen? Roboter könnten auch in diesen Bereichen immer mehr zu ebenbürtigen Partnern oder eben auch zu Konkurrenten werden. Die neue Dauerausstellung der Zinkfabrik Altenberg wird einen Blick in diese vielleicht gar nicht mehr allzu ferne Zukunft wagen und die Skulpturen aus der Sculpture Factory sind mitten drin.


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