Must Have: Warum sammeln wir das eigentlich?

Teil 2 – Identifikation

Das LVR-Industriemuseum sammelt schon lange Gegenstände der Alltagskultur. Welche Rückschlüsse uns die Objekte auf die Vergangenheit ermöglichen, das möchten wir euch schlaglichtartig an den Must Haves erläutern. Letzte Woche haben wir euch vorgestellt, wie Massengüter produziert werden. Heute wollen wir uns mit dem scheinbaren Gegensatz der Identifikation mit ebendiesen Massengütern befassen.

Ein Beitrag von Stefanie Weyer

Industrielle Massenprodukte werden am Fließband gefertigt, um den Konsumbedürfnissen der Menschen nachkommen zu können. Standardisierte Verfahren werden eingesetzt, um möglichst viele dieser Objekte in möglichst kurzer Zeit produzieren zu können. Spezialisierte Handwerksberufe entfallen und werden durch eine Kette von isolierten Produktionsschritten ersetzt: Eine Person, ein Handgriff am Fließband, immer wieder und wieder. Ein Objekt gleicht dem anderen und doch verstehen die Menschen die Konsumgüter als Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Warum ist das so?

Aneignung von Masse: Meins, Meins, Meins

Obwohl alle Objekte einer eintönigen Massenproduktion entspringen und einander gleichen wie ein Ei dem anderen, lässt sich eine interessante Entwicklung beobachten. Personen eignen sich Gegenstände an und verleihen ihnen etwas, das sie als Industrieprodukte gerade nicht besitzen: Einzigartigkeit. Doch wie funktioniert das?

Hier hilft uns die schriftliche oder bildliche Überlieferung weiter. Ab einem bestimmten Zeitpunkt können wir nämlich feststellen, dass viele der Konsumprodukte von Werbung begleitet werden und diese förmlich um sie herum explodiert. Nicht nur können wir daraus ableiten, dass die Verfügbarkeit und Vielfalt an Produkten stark angestiegen ist, sondern können daraus auch schlussfolgern, dass die Gesellschaft, die diese Produkte hervorgebracht hat, einen bestimmten Grad an materiellem Wohlstand erreicht haben muss. Dementsprechend scheint diese Gesellschaft mehr Produkte herzustellen als sie für die Deckung materieller Bedürfnisse benötigt. Die Werbemaßnahmen sorgen also dafür, dass die schiere Anzahl an Gütern überhaupt verkauft werden kann.

Denn der Wert von industriellen Massenprodukten wird nicht durch ihre Seltenheit oder das verwendete Material bestimmt, sondern wohl gerade durch ihr Identifikationsangebot für die Kundschaft. Beispielsweise ist der materielle Wert des Walkmans verschwindend gering, aber als Markenprodukt war er sehr erfolgreich darin, dass die Konsumenten und Konsumentinnen ihn als eine Äußerung ihrer Persönlichkeit begriffen.

Diese Kuscheldiddl ist eine frühe Form der Maus. Später wurden die Ohren und Füße noch größer, Foto: LVR-Industriemuseum.

Das Gefühl entscheidet mit

Dabei ist das alles andere als selbstverständlich: Eine Studie der Universität Washington von 2020 legt nämlich nahe, dass schon Kleinkinder uneigennützig handeln und von sich aus nicht unbedingt den Wunsch haben, etwas besitzen zu müssen. Der Besitz von Dingen und das Besitzen wollen scheinen also erlerntes Verhalten zu sein.

Erinnert ihr euch an die Diddl-Maus? Die Comicfigur sprach Kinder direkt an, da sie an positive Alltagserfahrungen der Kinder anknüpfte. Nicht umsonst drehte sich die Welt der Diddl-Maus um Freundschaft, Liebe, Spiel, Abenteuer- und Entdeckungsreisen (Piraten-und Tiger-Diddl!). Die Kinder sollten sich in ihrer Lebenswelt mit der Maus identifizieren können. Die verschiedenen Motivblöcke, z.B. eine Diddl auf einer Insel, mit ihren Geschichten waren ein zentraler Anknüpfungspunkt für die Identifikation mit der Diddl-Maus. Jede Geschichte, die das Kind mit seiner „Diddl“ erlebte, konnte so als einzigartig empfunden werden. Sie war eine Äußerung der Persönlichkeit des Kindes, deren Wertschätzung das Kind auf das Objekt übertrug. Erst so konnten einzelne Motive der Diddl-Blöcke auch für die Kinder untereinander einen Tauschwert erhalten.

LVR-Industriemuseum, Zinkfabrik Altenberg, Oberhausen, Neue Dauerausstellung, Stuyvesant-Werbung, Paar auf Motorrad
Werbung für die Zigarettenmarke „Stuyvesant“, Foto: LVR-Industriemuseum

Auch die Geschichte der Diddl-Maus ist ein Beispiel dafür, dass erst äußere Anreize das Bedürfnis nach Besitz schaffen, z.B., weil Freunde ein bestimmtes Produkt besitzen. Schließlich will niemand außerhalb seiner Gruppe stehen. Nicht umsonst werden Produkte für Kinder immer mit anderen Kindern beworben.

Bei Jugendlichen und Erwachsenen wird die Art der Darstellung angepasst, aber nicht das grundlegende Prinzip dahinter, dass das Gefühl eine entscheidende Rolle in der Bewerbung spielt. Der Fantasie wird ein konkretes Angebot unterbreitet, damit eine Identifikation entstehen kann. So identifizieren sich Erwachsenen nicht mehr mit Piraten, sondern mit dem Versprechen von Freiheit und Emanzipation, während sie rauchend dem Sonnenuntergang entgegenfahren.

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